Schrift und Barrierefreiheit?
Inklusion als Gestaltungsfaktor

Am 28. Juni 2025 trat in Österreich (wie in der gesamten EU) die Umsetzung des European Accessibility Act (EAA) in Kraft, verankert im Barrierefreiheitsgesetz (BaFG). Was lange in Fachkreisen als „Spezialthema“ für Webentwicklerinnen und -entwickler oder Behörden galt, betrifft nun alle Unternehmen mit digitalen B2C-Angeboten: also für Websites, Apps und digitale Produkte. Für Grafikerinnen und Grafiker sowie Werberinnen und Werber wird das Thema Barrierefreiheit in der Gestaltung zur Pflicht.
Das BaFG ist ein weiterer Mosaikstein des sogenannten Green Deals, der europäischen Nachhaltigkeitsbemühungen. Auf den ersten Blick ist das Thema wenig „green“, aber definitiv im immer wichtiger werdenden Bereich „Soziales“ verankert. Denn bei geschätzt 1,7 Millionen Österreicherinnen und Österreichern mit temporärer oder dauerhafter Behinderung gibt es einiges zu tun.
Was das Gesetz konkret verlangt
Das BaFG in Österreich verpflichtet Unternehmen, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten. Dazu muss man aber festhalten, dass dies alle nach dem 28. Juni 2025 neu erstellten oder „wesentlich geänderten“ digitalen Angebote betrifft. Da jedoch „wesentlich geändert“ eine recht schwammige Formulierung ist, empfehle ich die durchgehende barrierefreie Umsetzung im Zuge der Änderungen. Damit wird umgehend Rechtssicherheit geschaffen!
Bereits vor dem genannten Datum existierende Inhalte müssen dem BaFG entsprechend bis spätestens 28. Juni 2030 adaptiert werden. Darüber hinaus sind Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und unter zwei Millionen Euro Umsatz von der Regelung ausgenommen. Das Gesetz schreibt nicht vor, welche Schrift genau verwendet werden soll, sondern es stellt sicher, dass die Gestaltung nach folgenden vier Prinzipen als Grundlage der Barrierefreiheit erfolgt: wahrnehmbar, bedienbar, verständlich, robust.
Die dazu passende Fassung der Web Content Accessibility Guidelines fordert dazu unter anderem:
- ausreichende Kontrastverhältnisse (mindestens 4,5:1 bei normalem Text)
- flexible Textabstände (Zeilen, Wörter, Zeichen dürfen vergrößert werden, ohne dass Layouts brechen)
- die Möglichkeit, Inhalte bei 200 Prozent Vergrößerung noch vollständig bedienen zu können
BaFG: verpflichtet Unternehmen, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten.
Schriften, die funktionieren
Die ÖNORM DIN 1450 bietet klare Hinweise, wie Schrift lesefreundlich eingesetzt werden sollte. Besonders geeignet sind humanistische Sans-Serif-Schriften, da sie ähnliche Buchstabenformen deutlich unterscheiden und offene, vertraute Strukturen aufweisen. Zwei empfehlenswerte Beispiele aus der Praxis sind unter anderem die „Frutiger Neue 1450“ (als Einzige bisher auf DIN optimiert) oder die speziell für Menschen mit Sehbehinderungen entwickelte „Atkinson Hyperlegible“. Darüber hinaus gibt es aber ein großes Angebot an frei zugänglichen Schriften wie „Arial“ und „Calibri“, aber auch „Open Sans“ oder „Source Sans Pro“ – etablierte Standards im Web, auch auf österreichischen Behördenportalen. Es gibt also keinen „Zwangsfont“, aber gute Gründe, bei der Schriftwahl die wissenschaftliche Basis zu berücksichtigen.
Hands-On im Agenturalltag
Das BaFG definiert nicht nur den Umgang mit Fonts, sondern auch Bereiche wie den zu verwendenden Kontrastrahmen, Strukturen oder Alternativtexte für Bilder. Damit Barrierefreiheit nicht nur ein Ideal bleibt, gibt es praktische Tools. Der kostenlose Colour Contrast Analyser von TPGi oder der WebAIM Contrast Checker helfen dabei, Farbkontraste zu prüfen. Für Abstände können Browser-Entwickler-tools genutzt werden, um zu simulieren, wie Texte bei vergrößerter Darstellung, also unterschiedlichen Bildschirmgrößen und Auflösungen, aussehen. In der Praxis sollten solche Tests fester Bestandteil des Gestaltungsprozesses sein – ähnlich selbstverständlich wie Druckvorstufe oder Überlegungen zu Responsive Design.
Chancen barrierefreier Gestaltung
Sicherlich kennen die meisten von uns die Reaktion unserer Kundinnen und Kunden auf neue Vorschriften – nicht immer positiv oder willkommen. Dabei profitieren Unternehmen mehrfach von barrierefreier Gestaltung. Einerseits erfüllen sie ihre gesetzliche Pflicht und vermeiden Abmahnungen oder Wettbewerbsnachteile.
Zum anderen erschließen sie eine – wie schon erwähnt – nicht zu unterschätzende Zielgruppe: Ein signifikanter Teil der erwähnten, mit Behinderung lebenden Menschen in Österreich ist im digitalen Alltag auf barrierefreie Gestaltung angewiesen. Dazu kommt eine alternde Bevölkerung, die von klarer und gut lesbarer Gestaltung unmittelbar profitiert. Durch die nun gültigen Regularien wird barrierefreie Gestaltung zu einem klaren Qualitätsmerkmal. Für alle lesbare, gut strukturierte Websites fördern nicht nur Inklusion, sondern stärken das Vertrauen in die Marke.
PS: Die Vorschriften des BaFG gelten ausschließlich für digitale Anwendungen. Ich denke, dass Themen wie Lesbarkeit oder klare Struktur bei analogen Inhalten für professionelle Gestalterinnen und Gestalter kein Neuland sein sollten.