Warum Schriften Wert haben
Wie Sie mit einem fundierten Handwerksschatz die Fahne der Typografie hochhalten!
Jeder kennt sie, jeder verwendet sie und ohne sie wäre unsere Welt eine völlig andere. Doch gerade in der digitalen Welt scheinen Schriften zunehmend an Wert zu verlieren. Ein kurzer Ausflug in die jüngere Geschichte der Typografie und eine Handvoll Beispiele, warum die Auseinandersetzung mit guten Schriften Werte sichert – insbesondere jene der Kunden.
Die erfahrenen Kollegen unter uns können sich wahrscheinlich noch erinnern: Zumindest die Zeit der Ausbildung war geprägt von den (seinerzeit etablierten) Fotosatzmaschinen, die ab etwa 1950 den jahrhundertelang verwendeten Bleisatz endgültig ablösten. Die Technik war kostengünstiger zu erwerben, nahezu wartungsfrei und ließ raschere Ergebnisse zu. Schließlich war die Belichtung des Trägerfilms wesentlich zeitsparender als der Hand- oder der später aufkommende Maschinensatz. Durch die ersten Apple Computer und entsprechende Software wie PageMaker oder Quark Xpress war es dem Gestalter möglich, insbesondere Mengensatz (z. B. für Bücher) in einem Bruchteil der Zeit herzustellen. Und so begann, obwohl sich arrivierte Typografen entgegenstemmten, die schleichende Entwertung der Schrift.
Typepositive
Schriften sind ein handwerkliches Juwel, dennoch wurden sie kopiert, gefladert, weitergegeben und einige wenige „unter uns“ versuchen in ihren Arbeiten, die Fahne der Typografie hochzuhalten. Schon der unvergessene deutsche Typograf G. G. Lange forderte sinngemäß, dass es notwendig ist, für den Wert der einzelnen Glyphen zu kämpfen – egal ob serif oder grotesk, ob versal oder gemein, ob normal oder kursiv, ja sogar die richtig fetten lieben wir. Um ein neudeutsches Wort zu bemühen: Wir Gestalter sind „typepositive“.
Am Anfang war das A …
So kann man doch nicht den Wert einer Schrift beziffern? A À Á Â Ã Ä Å Æ … In dieser Art beginnt der deutsche Schriftgestalter Erik Spiekermann in seinem Buch „Ursache und Wirkung“. Doch was sagen diese paar Zeichen (stellvertretend für Hunderte, ja Tausende in einer Schriftfamilie) über den Wert von Schrift aus? Herr Spiekermann ist der festen Überzeugung, dass Schrift Kulturgut ist, welches man dem Betrachter nahebringen muss. So wie man dem Betrachter die Bedeutung von Kunst nahebringen muss. Und dies geht nach dem zuvor zitierten G. G. Lange „immer und mit der Hinwendung, die man einer wunderschönen Frau angedeihen lässt!“.
Gute Schrift sichert Werte. Sie vermittelt Information, kommuniziert in der Sprache des Kunden und schafft – richtig angewandt – Klarheit und Identität.
Garamond ist (nicht) geil und gute Schriften nicht gratis!
Wie sollte eine Schriftart aus dem 16. Jahrhundert geil sein? Geil ist angeblich Geiz und wahrscheinlich eine der Abertausenden Gratisschriften, die sich im Internet trollen. Nur um das klarzustellen: Da sind schon brauchbare dabei – vielleicht um ein Logo aufzufetten oder eine Headline knackiger zu gestalten. Ich selbst kaufe im Jahr zwischen zehn und 30 Schriften oder ganze Familien. Warum? Die gekaufte Schrift gibt mir urheberrechtliche und vor allem gestalterische Sicherheit.
Über ein Korsett, das Geviert und den Linksbund
Die Auswahl (an kostenpflichtigen) Schriften ist gewaltig. Wie erkennen Sie Qualität, Wert und vor allem: Gelten diese Ansprüche für jeden Ihrer Kunden? Sprich, können Sie eine wirklich gute Schrift bei zahllosen unterschiedlichen Projekten einsetzen? Den Wert und die Qualität einzuschätzen, ist keine schwere Übung. Es gibt noch eine überschaubare Anzahl an Firmen, die professionelle Schriften bereitstellen und glücklicherweise neuere, die eher auf Eigenvertrieb setzen. Hier bekommt jeder gute, ausgereifte Schriften um faires Geld – schließlich können Sie die Schrift ein Gestalterleben lang verwenden. Allerdings: Nicht jede Schrift passt zu jedem Kunden und so kann ich die Frage nach der mehrfachen Verwendbarkeit mit einem klaren „Nein“ beantworten. Was den Kauf betrifft, beziehen Sie klug: Kein Kunde braucht zig Schriften! Ziehen Sie sich und dem Kunden ruhig ein enges Korsett an. Meist reicht eine ausgewogene Schriftfamilie völlig aus.
Universalrezept?
Wenn Sie verstanden haben, welche Schrift für welchen Zweck (überwiegend) eingesetzt wird, können Sie die Aufmerksamkeit auf die eigentliche Typografie lenken. Hier stehen am Anfang Überlegungen zu Schriftgrößen, Dickten, Laufweiten und Zeilenabständen. Es wäre vermessen, zu behaupten, dass es ein Universalrezept gibt. Natürlich bestehen gewisse „Ausgangsstandards“, die Sie in der Gestaltung als Basis verwenden können.
Dann beginnt das Schrauben: einen Zehntelpunkt größer, zwei Zehntel kleiner, die Tüftelei an den Zeilenabständen, den Worten Luft geben … Diese Überlegungen sind bei jeder Schrift neu anzustreben. Aber keine Angst, es macht richtig Spaß, zu tüfteln und schließlich für jede Schrift die ideale Lösung in Bezug auf Anmutung, Wirkung und besonders Lesbarkeit zu finden. Damit einher geht vielleicht die Entscheidung für Blocksatz oder Linksbund. Ersterer eignet sich besser für breitere Spalten, zweiterer für schmalspaltige Layouts, die häufig die Gefahr von „Löchern“ bergen. Klingt alles recht banal, aber jeder von uns kennt den Moment, in dem man ein Buch, das man mit Begeisterung lesen wollte, erschöpft in die Ecke legt.
Tatsächlich liegt dies nicht am Inhalt, sondern an vielen kleinen typografischen Rädchen, die falsch eingestellt wurden. Die Buchstaben zu klein, die Schrift für große Textmengen nicht geeignet, die Laufweite zu eng, die Spalten zu breit … Denken Sie gerade daran, was diese Entscheidungen für Ihren Kunden bedeuten? Ja, ganz richtig: Plötzlich sind diese „Kleinigkeiten“ nicht mehr banal, sondern geben bei korrekter Anwendung den Dingen Wert, sichern Kundensegmente und Umsätze.
Am Ende ist das Wort
Typografisches Wissen ist keine Raketenwissenschaft und selbst großartig gestaltete Produktionen beweisen täglich, dass man nicht alles richtig machen kann. Gute Schriften und das Wissen um deren Einsatz sind ein Schatz, der uns in der Gestaltung die Möglichkeit gibt, Werte zu schaffen und zu sichern. Sie lassen uns Informationen zielgruppengerecht darstellen, geben uns Vielfalt und erlauben es, unsere Kunden (aber auch uns selbst) klar zu positionieren. „Denn am Ende“, meinte der Schweizer Schriftgestalter Adrian Frutiger, „sitzen wir da, mit einem Blatt Papier und Worten geschrieben in Garamond.“ Dass eine Schrift bereits 500 Jahre im Einsatz ist, belegt eindrucksvoll den Wert von Schrift und ja, ich steh dazu – macht die Schrift schon auch richtig geil.