Wortakrobatik im Rampenlicht
Poetry Slammer Marvin Weinstein jongliert mit der Sprache

Geschäftsführer Clemens Grießenberger, Marvin Weinstein und Obmann Andreas Kirnberger beim Verleihungsevent (v. l.)
Einer der besten Poetry Slammer Deutschlands, Marvin Weinstein, war beim Verleihungsevent Goldener Hahn ein Highlight des Abends. Er verfasste zu jeder Kategorie einen Poetry Slam als sehr unterhaltsamen Showact für das Publikum. Im Gespräch mit dem Wortakrobaten erfahren wir mehr über seinen Kreativitätsprozess, prägende Auftritte und seinen Umgang mit Lampenfieber.
„AD:CETERA – unter diesem Motto soll der Abend heute glänzen, denn eure Kreativität kennt scheinbar wirklich keine Grenzen. Ihr wachst über euch hinaus, ihr lernt dazu, die Brust wird breiter, man könnte also sagen, nach der Werbung geht es weiter. Und damit heiß’ ich euch willkommen zu einem Abend voller Spaß, voller großer Emotionen und mit den neuen Werbestars oder den alten Hasen, die euch zeigen, wo der Hammer hängt. Schau’n wir mal, wer nachher ne Trophäe durch die Halle schwenkt. Doch genug geredet, ich schlag’ vor, wir fangen an, mit dem Landeswerbepreis Niederösterreichs, dem legendären Goldenen Hahn!“ So läutete Marvin Weinstein den Verleihungsevent Goldener Hahn ein. Grund genug, ihn genauer zu seinem außergewöhnlichen Beruf zu befragen.
Werbemonitor: Was ist ein Poetry Slammer?
Marvin Weinstein: Einfach gesagt eine Person, die selbst Texte schreibt und damit bei einem Poetry Slam auftritt oder dies regelmäßig tut. Dabei gibt es ein paar Regeln zu beachten, wie der Verzicht auf Musik, Gesang und Requisiten oder dass der Text wirklich aus der eigenen Feder stammen muss. Viel mehr ist nicht dabei, denn Poetry Slam ist ein offenes Format und der Einstieg ist niederschwellig.
Wie ist dein Werdegang und wie bist du auf die Idee gekommen, Poetry Slammer zu werden?
Ich wurde von mehreren Seiten dazu überredet, mich mit den Texten, die ich eigentlich für mich selbst oder für die Schule geschrieben habe, bei einem Slam anzumelden. Da waren mein Vater, meine Deutschlehrerin und ein Slam Poet namens Felix Römer, der einen kleinen Slam an unserer Schule besucht hat. Nach meinem ersten richtigen Slam-Auftritt wurde ich sehr herzlich in der Szene aufgenommen und wollte auch gar nicht mehr raus. Das war 2011. Der Rest hat sich dann über die Jahre so ergeben.
Was ist deiner Ansicht nach das Geheimnis eines guten Poetry-Slam-Textes?
Die meisten Poetry Slams im deutschsprachigen Raum geben Zeitlimits von fünf bis sieben Minuten vor, die die meisten natürlich gern ausreizen möchten. Aber fünf Minuten können länger sein, als man denkt, wenn man ganz allein das Wort hat. Ein guter Text fesselt das Publikum bis zum Ende und fängt nicht an, langweilig oder repetitiv zu werden. Ob das z. B. durch Witze, überraschende Wendungen oder eine besonders gelungene Performance geschieht, ist im Grunde egal.
Wie sieht dein Kreativitätsprozess aus?
In der Regel beginne ich mit einem einzelnen Gedanken, einem Witz oder einem Bild. Wenn ich ein Thema vorgegeben bekomme, ist das meist die erste Assoziation, die ich dazu habe. Wenn nicht, kann so ein Gedanke von überall herkommen. Um diesen Gedanken versuche ich dann eine Geschichte zu spinnen.
Wie gehst du bei der Erstellung deiner Slam-Texte vor? Hast du eine bestimmte Schreibroutine oder Herangehensweise?
Ich überlege mir, was in dem Text passieren soll und was ich mit ihm bezwecken möchte. Ob ich einfach unterhalten oder mehr zum Nachdenken anregen oder provozieren möchte. Der Rest ist viel, viel Wortschmiederei, Reimsuche und Feilen am Rhythmus.
Was war dein schwierigster Text bisher und warum?
Ich denke, das war ein sehr persönlicher Text, den ich vor ca. zehn Jahren geschrieben habe. Sich auf diese Weise mit seinen eigenen Problemen oder Gefühlen zu beschäftigen und dabei das Publikum nicht zu verlieren, ist sehr schwierig. Deshalb lasse ich das bleiben, beschäftige mich in meinen Texten mit anderen Dingen und lege meinen Fokus auf die Geschichte und die sprachlichen Mittel.
Welche Auftritte der letzten Jahre sind dir positiv und prägend in Erinnerung geblieben?
Ich bin kurz vor der Corona-Pandemie aus Berlin nach Niedersachsen gezogen und habe eine Weile gebraucht, um hier in der Szene anzukommen (besagte Pandemie hat das natürlich zusätzlich erschwert). Die Niedersächsischen Landesmeisterschaften 2021 und 2022 haben mir sehr dabei geholfen. Es waren wunderbare und herzliche Festivals mit vielen tollen Menschen und inspirierenden Beiträgen, die im besten Sinne Spuren hinterlassen haben.
Wo siehst du Grenzen im Poetry Slammen?
Man darf nicht vergessen, dass Poetry Slam eine Bubble ist. Wir alle möchten die Welt ein bisschen besser machen mit unseren Ideen und Kritiken. Aber am Ende treten wir mit und vor Menschen auf, die in der Regel ohnehin schon unsere Ansichten teilen. Um große gesellschaftliche oder politische Veränderungen zu erreichen oder Menschen außerhalb unserer Echo Chamber zum Nachdenken anzuregen, muss man die Komfortzone Poetry Slam früher oder später verlassen.
Wie gehst du mit Lampenfieber oder Nervosität vor einer Slam Performance um? Hast du spezielle Techniken oder Rituale, um dich zu beruhigen?
Leider kann ich hier nicht mit hilfreichen Tipps und Tricks glänzen. Ich war so lange nervös und habe mich mit zittrigen Händen an meinen Textblättern festgeklammert, bis die Aufregung von allein aufhörte. Ich habe mich daran gewöhnt, auf Bühnen zu stehen und weiß jetzt, dass mir nichts Schlimmes passieren wird. Selbst wenn ich eine Performance mal vergeige oder die Witze nicht zünden – beim nächsten Mal läuft es wieder besser.
Welchen „Traumauftritt“ in Bezug auf Orte, Themen, Gelegenheiten wünscht du dir noch?
In Hamburg gibt es einen Slam in der Elbphilharmonie. Bisher war ich nur als Zuschauer dort, und es ist wirklich magisch. Um dorthin eingeladen zu werden, muss man allerdings auch einiges vorweisen können. Es wäre schon sehr cool, wenn ich eines Tages auf dieser Bühne stehen könnte.
Welche Tipps hast du für jene, die als Poetry Slammer durchstarten möchten?
Zerdenkt das Ganze nicht. Ihr habt einen Text und Bock? Dann macht es einfach. Niemand startet mit perfektem Timing, astreinem Handwerk und professionellem Stimmeinsatz. Man wächst gemeinsam, lässt sich inspirieren und holt sich Feedback, das einen weiterbringt. Und nehmt den Wettbewerb nicht so ernst.
Wie siehst du die Entwicklung der Poetry-Slam-Szene? Gibt es Veränderungen oder Trends, die du bemerkt hast?
Da ich vor allem meinen eigenen Bezug zur Szene verändert habe (durch meinen Umzug und weil ich seit Corona deutlich weniger auftrete, da ich zudem noch als Programmierer arbeite), kann ich hier nur eine stark eingefärbte Einschätzung abgeben. Es gibt natürlich neue Kollektive, neue Veranstaltungen und neue Gesichter, aber dieser ständige Wandel war vor der Pandemie schon ganz normal. Ich freue mich aber, dass es immer noch so viele neue Leute auf die Slam-Bühnen zieht.